Persönlich

Wie schafft Social Media echten Mehrwert? Viele Engagierte in der Kirche fragen sich nun wie Sie das Internet am besten nutzen können, um den Menschen nahe zu bleiben, um nun in der räumlichen Distanz in anderer Weise erreichbar und dialogbereit zu sein. Ich möchte einige mir wesentlich erscheinende Momente nennen und einige kluge Beiträge verlinken, die hoffentlich hilfreich sind.

Das Social Web ist interaktiv

Der Unterschied zwischen einer Gottesdienstübertragung im Fernsehen, die es schon jahrzehntelang gibt, und einem Livestream eines Gottesdienstes im Internet ist im Kern nur die technische Art der Distribution des Signals. Das Social Web ist aber viel mehr und sehr viele Menschen sind es auch gewohnt selbst online aktiv zu sein. Egal ob Gottesdienst, Treffen der Frauengruppe der Pfarre oder Bildungsveranstaltung: Online erwarten sich die beteiligten Menschen mehr. Sie sind hier nicht passive ZuschauerInnen, sondern aktive ‚Produser‘. Im Falle eines Gottesdienstes passt das auch zum theologischen Verständnis von Liturgie: Miteinander Gottesdienst feiern und miteinander beten ist immer ein Interaktionsgeschehen.

Je nach gewähltem Social Media Dienst gestaltet sich die Interaktion anders. Es stehen unterschiedliche technische Möglichkeiten zur Verfügung und es ergeben sich daraus unterschiedliche Kommunikationsdynamiken. Wer hier agieren will, muss die Kommunikationsumgebung gut kennen.

Dort aktiv sein, wo man schon Community hat

Ich empfehle darum allen, kirchliche Dialogräume in dieser Krise primär dort zu entwickeln, wo man schon schon bisher aktiv war. Das ist sowohl technisch als auch inhaltlich gemeint.

Es ist einfacher dort aktiv zu sein, wo schon eine Community vorhanden ist, als in einem neuen Kanal etwas gänzlich Neues zu entwickeln. Man kann dort die kommunikativen Dynamiken besser einschätzen und zielgerichteter agieren.

So nutzt z.B. die Pfarre Freistadt die Community ihrer schon länger bestehenden Facebook-Seite, um dort verschiedene Angebote nun verstärkt per Video oder Livestream anzubieten.

Livestram Pfarre Freistadt

Ebenso verhält es sich mit den Inhalten. Nichts muss komplett neu erfunden werden. Wer die Frage beantworten kann, welches Ziel mit den bisherigen Aktivitäten verfolgt wurde, weiß auch schon sein Ziel für die Online-Kommunikation.

Neugierig sein und ausprobieren – aber professionell

Neugierde ist durchaus gut und vielleicht ist ja gerade jetzt die Zeit dafür – selbst aktiv aber etwas in einem neuen Social Media Dienst anzubieten, braucht mehr als nur Entdeckungslust. Es braucht auch Strategie, Planung und Professionalität. Man muss sich immer bewusst sein: Auch in der Krise geht es darum am religiösen Markt zu bestehen und ihm doch nicht zu verfallen, wie es der Pastoraltheologe Rainer Bucher treffend formuliert.

Es ist wunderschön zu sehen, wieviel Kreativität diese Krise hervorbringt. Trotzdem möchte ich davor warnen, sich ohne Nachdenkpause, Zielformulierung und Zielgruppenanalyse in digitale Projekte zu stürzen. Manchmal ist einfach nur der schlichte Griff zum Telefon die bessere Wahl als stundenlanges Austesten von technischen Tools.

Das Bedürfnis an wackeligen Handybildern ist fast gesättigt und DOCH gibt es bei der Digitalisierung im kirchlichen Raum und für die Menschen noch viel zu tun. 

Stefan Lesting über Livestreams von Gottesdiensten

Es ist ein großes Lernfeld für die Kirche, das sich da aufgetan hat. Das ist gut und wichtig.

„Menschen brauchen in den nächsten Wochen, dass sie beteiligt sind“

Interessant finde ich die Erkenntnis der Beymeister aus Köln, dass sie nichts streamen können, weil sie keine Frontalangebote haben.

Näheres zur Initiative der Beymeister Köln und auch den geistlichen Hintergründen der Überlegungen aus Köln im Frischetheke-Podcast.

„Menschen brauchen in den nächsten Wochen, dass sie beteiligt sind“. – Beymeister

Das ist ähnlich wie bei uns hier ins Linz im Urbi@Orbi, dem Begegnungszentrum in der Innenstadt, wo ich selbst arbeite. Auch hier passiert im „Normalbetrieb“ fast alles interaktiv und im Austausch – also war es klar, dass wir auch im Internet ein interaktives Angebot brauchen und darum machen wir unsere Kaffeerunden per Videokonferenz.

Das Social Web ist persönlich und darum dezentral

Warum Menschen überhaupt soviel in sozialen Online-Netzwerken unterwegs sind, liegt vor allem darin begründet, dass sie dort ihre Beziehungen pflegen. Beziehung ist immer sehr persönlich – sie geht von Mensch zu Mensch und nicht von Institution zu Mensch. Unterschiedlich ist die Intensität. Man unterscheidet zwischen „weak“ und „strong“ ties.

Weak ties

Das Beziehungsmanagement im Social Web ist vor allem ein Management der „weak ties“, eines erweiterten FreundInnen- und Bekanntenkreises. Das interaktive Internet befördert den Aufbau von schwach gebundenen eher unverbindlichen Netzwerken, die zu wenig bis nichts verpflichten. UserInnen pflegen in der Regel nicht ihre engsten Beziehungen („strong ties“) im sozialen Online-Netzwerk, sondern wollen vielmehr mit einem erweiterten Freund_innen- und Bekanntenkreis interagieren. Diese „weak ties“ spielen nach der soziologischen Netzwerktheorie eine wichtige Rolle für die Akkumulation von Sozialkapital z.B. im beruflichen Kontext.

Strong ties

Für die allerengsten Beziehungen eines Menschen braucht es medial vermittelte Kommunikation viel weniger. Mit meiner besten Freundin gehe ich auf einen Kaffee oder lade sie zum Essen ein. Die jetzt notwendige räumliche Distanz ist die große Ausnahme. Sogar Geburtstage werden jetzt per Videokonferenz gefeiert – mit jenen, die bisher auch schon miteinander gefeiert hätten.

Der Faktor Mensch

Persönliche Kommunikation ist nie wirklich zentral organisierbar. Der Faktor Mensch ist und bleibt entscheidend – und die Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation hat natürlich simpel zeit- und energiemässige Grenzen. Das gilt meiner Meinung nach besonders für Kommunikation über existentielle und religiöse Fragen. Diese sind nie nur abstrakt, sondern immer ist die Botschaft mit dem Boten oder der Botin verwoben.

Das bedeutet, dass die Eigeninitiative jeder Pfarrgemeinde, jeder Initiative, jedes Zusammenschluss und – ja – jedes/r engagierte/n ChristIn, gefragt ist.

„Es ist entscheidend, das die Leute vor Ort was machen“ sagt Pfarrer Simon des Vries und schildert im Frischetheke-Podcast, welche kreativen Aktivitäten online bei ihm vor Ort entstehen.

Simon de Vries, Pfarrer in Nordhorn

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