„Seien Sie unser Gast!“ war das Motto in 55 frei zugänglichen Videokonferenzen zwischen 17. März und 14. Mai 2020. Sie verfolgten in der Corona-Krise das gleiche Ziel verfolgten wie der Raum Urbi@Orbi in der Linzer Innenstadt: Begegnung und Austausch ermöglichen.
Ein vorläufiges Resümee.
„Räume der Empathie“
Der Linzer Kirchenzeitung berichtet am 21. Mai 2020 über unser Projekt und seine Dynamik:
Online lesen: Persönlicher als man denkt
Darüberhinaus einige zusammenfassende Gedanken und Learnings in der Chronologie der Ereignisse:
„Wir machen online weiter“
Diesen Gedanken hatten mein Kollege Markus Pühringer und ich unabhängig voneinander als Anfang März klar wurde, dass das kirchliche Begegnungszentrum Urbi@Orbi aufgrund der Vorsichtsmaßnahmen wegen des Corona-Virus schließen muss.
Das Urbi@Orbi, eine Einrichtung der Citypastoral der Diözese Linz, ist ein offener gastfreundlicher Ort: erreichbar, ebenerdig, einsehbar. Gäste bekommen dort guten Kaffee gegen freiwillige Spenden. Die meisten kommen aber, weil sie das Gespräch suchen. Ergänzt wird dieses Angebot durch die Funktion als Kircheninformationscenter und durch verschiedenen Veranstaltungen, die allesamt sehr interaktiv ausgerichtet sind.
Die Software-Entscheidung
Die erste Frage nach dem klar formulierten Ziel „Wir machen online weiter“ war dann natürlich die Technik. Nach einigen Recherchen und einem Test im Kreis der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Urbi@Orbi fiel die Entscheidung für ZOOM als Videokonferenzsoftware. Wichtig war dabei vor allem, dass es technisch möglichst einfach ist und dass ein offen zugängliches Format möglich ist – ohne Anmeldungen oder ähnlichem für die TeilnehmerInnen. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Ahnung wieviele Menschen unser Angebot nutzen würden, also war auch die Skalierbarkeit der TeilnehmerInnen nach oben ein wichtiges Kriterium.
ZOOM wurde in der Corona-Krise von manchen DatenschützerInnen stark kritisiert. Diese Kritik ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Viel hängt aber auch davon ab, wie man die Software benutzt und einstellt – Stichwort Datensparsamkeit. Letztlich sind wir bei der Lösung ZOOM geblieben: es ging in diesen Videokonferenzen ja auch nicht um eine vertrauliche Besprechung, sondern um eine Begegnung am Kaffeehaustisch.
Zielgruppe
Klar war, bei diesen Videokonferenzen würden nicht nur „Digital Natives“ dabei sein, sondern die Einladung galt besonders auch Stammgästen des Urbi@Orbi. Ein Online-Angebot entwickelt man nicht im „luftleeren“ Raum, sondern idealweise aus einer bestehenden Community heraus. Hier war klar, dass viel Urbi-Gäste nun alleine zu Hause bleiben müssen und den Austausch vor Ort vermissen würden. So bunt und individuell diese Menschen sind – es sind eher ältere Menschen und die wenigsten sind digital-affin. Gleiches gilt für die meisten ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Begegnungsraums.
Praktisch haben sich die TeilnehmerInnen dann gemischt: Es waren Urbi-Stammgäste und fallweise BesucherInnen des Begegnungsortes genauso dabei wie Menschen, die diese Einrichtung erstmals durch das neue Angebot kennenlernten. Kirchliche MitarbeiterInnen anderer Bereiche waren auch mit dabei.
Inhalt und Format
Inhaltlich war so ein Angebot Neuland. Wohl hatte ich reichlich Erfahrung mit verschiedenen Formen der Online-Kommunikation und auch Videokonferenzen, z.B. Google Hangouts für Arbeitsbesprechungen – aber hier ging es um Seelsorge und ein offenes Angebot.
So entschieden wir uns im Ablauf für eine „Ankomm-Viertelstunde“, einer Zeit für technische Hilfe. Das war eine gute Entscheidung, denn es traten gerade zu Beginn viele technische Probleme und Fragen auf. Und selbst, wenn es technisch gut klappte, was auch oft der Fall war, brauchen Menschen, die noch nie per Video mit einer Runde anderer Menschen kommuniziert haben, etwas „Ankommzeit“ in solch einem Kommunikationsformat.
Die Stunde wurde dann immer recht einfach und klar strukturiert.
- Nach einer kurzen Begrüßung und Hinweisen zur Kommunikation wurden die TeilnehmerInnen zu einer Vorstellrunde eingeladen- falls Bedarf dazu war und sich nicht alle kannten. Nach der ersten Woche haben wir diese Runde auch immer verbunden mit der Bitte ein positives Erlebnis der jüngsten Vergangenheit zu erzählen.
- Darauf folgte eine offene moderierte Austauschrunde zu Themen, die gerade anstanden. Am Anfang war das nolens volens vor allem die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf das persönliche Leben und die Gesellschaft. Im Laufe der Wochen wurde das „Kaffeehaus-Gespräch“ aber breiter – über „Gott und die Welt“. Rund um Ostern war dieses Thema natürlich naheliegend. Wichtig war in den Gesprächen immer, dass alle zu Wort kamen und sich mit ihren Anliegen und Themen einbringen konnten.
- Abgeschlossen wurde mit einer Feedbackrunde, die auch sehr hilfreich war, um das Format in den Details zu verbessern.
Erweiterung mit Gästen
Begonnen wurde mit offenen Runden am Vormittag und am Nachmittag. Die Nachmittagsrunde wurde ab Woche drei für Themen und zur Einladung von Gästen genutzt. Hier ging es auch immer um kurze Inputs, die anregend für die Diskussion und den Austausch waren. Mit dabei waren z.B. Stefan Schlager von der Theologischen Erwachsenenbildung, die Betriebsseelsorgerin Martha Stollmayr, die Musikerin Marina Ragger und Wilfried Schumacher aus Bonn, mit dem ein reger und befruchtender Austausch durch die Videokonferenzen über Grenzen hinweg entstanden war.
Öffentlichkeitsarbeit
Die Möglichkeiten, das Projekt zu bewerben, beschränkten sich natürlich auch auf Online. Wichtig war der bestehenden Newsletter der Urbi@Orbi und die bestehende Facebook-Seite. So ein Projekt lässt sich viel einfacher aus einer bestehenden Community und einem bestehenden Umfeld entwickeln und bewerben. Wichtig war aber sicherlich auch „Mundpropaganda“ – selbst in der Distanz der Corona-Krise ist das noch immer die beste Werbung.
Auf Facebook nutzen wir auch bezahlte Werbung, um überhaupt zu relevanten Anzeigeraten zu kommen. Längerfristiger Effekt ist nun, dass wir auch einige neue Kontakte für das Urbi@Orbi generieren konnten. Das Input-Output-Verhältnis auf Facebook ist hervorragend.
Wie geht es weiter?
Nachdem das Urbi@Orbi nun mit Lockerung der Corona-Maßnahmen seine Türen vor Ort wieder öffnen könnte, ist der Bedarf nach dem Online-Begegnungsraum weniger geworden. Jedenfalls bis Sommer 2020 wird es jede Woche am Mittwoch von 11 – 12 Uhr eine Videokonferenz mit einem Thema geben.
Learnings
Einfach machen
Wir hatten ein gutes Gefühl dafür, was es brauchte in der Corona-Krise – und habe es einfach getan – innerhalb weniger Tage. Unsere Erfahrungen flossen ein, aber letztlich haben wir das meiste im Prozess gelernt.
Die Technik muß funktionieren
Wirklich wichtig ist, dass die Technik gut funktioniert und für das gewählte Ziel praktikabel ist. Hier Abstriche zu machen, wäre fatal – denn es geht auf die Qualität der Kommunikation, wenn alle nur noch mit technischen Problemen und Fragen beschäftigt sind.
Videokonferenz ist nicht gleich Videokonferenz
Wie wir hier Videokonferenzen für die Seelsorge genutzt haben, ist kaum vergleichbar mit Videokonferenzen, die für Arbeitsbesprechungen oder Online-Vorträge eingesetzt werden. Die Technik mag gleich oder ähnlich sein – aber die Kommunikationsdynamik ist eine andere. Am ehesten kann man es wohl noch vergleichen mit Webinaren mit viel interaktivem Anteil.
Einmaliges Projekt
Das Projekt „Seelsorge per Videokonferenz“ war sinnvoll und hat mir große Freude gemacht. Klar ist allerdings, dass dieses spezifische Setting wohl nur unter den Social Distancing Bedingungen der Corona-Krise Sinn gemacht hat, jedenfalls in der Intensität. 55 Videokonferenzen ist eine stolze Zahl! Man kann das Format aber weiterentwickeln und viel daraus lernen. Denn wieder einmal ist klar geworden: Auch Online-Kommunikation ermöglicht Beziehung. Und darauf kommt es an.